Megastaudämme

Von Ralf Leonhard · · 2001/10

Editorial: Gier und Größenwahn

40 bis 80 Millionen Menschen sind in den letzten 50 Jahren durch den Bau von Großstaudämmen vertrieben oder umgesiedelt worden, wichtige Ökosysteme und Fischereiressourcen wurden zerstört. Oft werden die Lebensgrundlagen indigener Völker durch derartige Projekte vernichtet. In der Regel pro?tieren die lokalen betroffenen Bevölkerungsgruppen wenig oder gar nicht von den Segnungen der Energie- oder Bewässerungsprojekte. Viele der Megaprojekte sind nicht einmal wirtschaftlich rentabel.

Von jedem Frauenkollektiv, das mit ein paar hundert Dollar an Entwicklungsgeldern gefördert wird, verlangt man heute, dass es sich binnen kurzer Zeit selbst erhalten kann. Dass es sich an die Gesetze halten muss, ist selbstverständlich. Für Milliardenprojekte gilt diese Auflage in der Praxis nur beschränkt. Speziell der Bau von Großstaudämmen in Ländern des Südens spricht den Regeln von Wirtschaftlichkeit und Recht oft Hohn. Trotzdem wurden sie von der Weltbank und vielen Regierungen großzügig unterstützt.

Großstaudämme galten bis in die 70er Jahre als zentrale Instrumente der Entwicklung, ja in vielen Ländern als Symbole der Entwicklung schlechthin. Proteste von Bevölkerungsgruppen, die dem technischen Fortschritt weichen mussten, wurden unterdrückt oder totgeschwiegen, Umweltzerstörung als notwendiges Übel verbucht. Inzwischen sind nicht nur die Proteste immer lauter geworden, auch die Anzahl der Zwangsumgesiedelten oder schlicht Vertriebenen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Dazu kommt, dass die Megaprojekte in der Regel ein Vielfaches dessen kosten, was ursprünglich veranschlagt war, und auch dann selten ihre volle Kapazität entwickeln. Die Folge ist, dass sie wirtschaftlich gar nicht rentabel sind.

Die von der Weltbank ins Leben gerufene World Commission on Dams (WCD) emp?ehlt daher, alle betroffenen Gruppen von Anfang an in die Planung einzubeziehen und mögliche Alternativen nicht von vorneherein auszuschließen. Kleinkraftwerke sind billiger, weniger umweltbelastend und besser auf die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zugeschnitten. Warum werden trotzdem weiterhin den größten Flüssen der Welt Mammutstaudämme aufgezwungen? Ein Bericht der WCD spricht es teilweise mit erstaunlicher Deutlichkeit aus und deutet es zum anderen Teil subtil an: größenwahnsinnige Politiker, die sich ein Denkmal setzen und/oder ihre Taschen füllen wollen und Konzerne, die bei Großaufträgen gewaltige Gewinne machen können, lassen sich ungern von Argumenten der Umsicht, Rücksicht und Angemessenheit behelligen. Das trifft auch auf österreichische Firmen zu, die sich durch staatliche Exportgarantien aus dem Entwicklungshilfetopf auch noch zusätzlich absichern lassen.


Splitter

Von den rund 45.000 Großstaudämmen be?nden sich etwa zwei Drittel in so genannten Entwicklungsländern, 49% allein in der Volksrepublik China, weitere 9% oder 4291 Projekte in Indien. Drei Viertel der größten Dämme stehen in nur fünf Ländern: China, USA, Indien, Japan und Spanien.

In 24 Ländern, darunter Brasilien und Norwegen, erzeugt Wasserkraft über 90% des gesamten Stroms. Ein Drittel aller Länder deckt mehr als die Hälfte des Energiebedarfs durch Wasserkraft. Großstaudämme erzeugen 19% des weltweit gewonnenen Stroms.

Als Großstaudamm de?niert die Internationale Kommission für Großstaudämme (ICOLD) jene Dämme, deren Höhe 15 Meter übersteigt oder deren Speichervolumen – bei einer Höhe von mindestens fünf Metern – drei Millionen Kubikmeter erreicht.

Jeder zweite Großstaudamm wurde ausschließlich oder vorwiegend für Bewässerungszwecke gebaut. Die Folge ist, dass 30–40% der weltweit bewässerten Fläche von insgesamt 271 Millionen Hektar ihr Wasser aus Stauseen bezieht. 12–16% der weltweit Nahrungsmittelproduktion hängen an ihrem Tropf. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Projekte ist enorm.

Die gesamte Süßwasser-Entnahme aus Seen, Flüssen und unterirdischen Wasserreserven wird heute auf 3800 Kubikkilometer geschätzt – doppelt so viel wie vor 50 Jahren. 5% davon entfallen auf Verdunstung aus Stauseen und Reservoiren.

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